Proprietarismus: Unterschied zwischen den Versionen

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Autor: [https://andreaskemper.org/ Andreas Kemper]
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Der Begriff '''Proprietarismus''' (abgleitet von lateinsch "propius", zu deutsch: "Eigentum") bezeichnet eine Ideologie, die das Recht von Eigentümer*innen, ihre Produktionsmittel zu besitzen und möglichst uneingeschränkt zu nutzen, als wichtiger erachtet als alle anderen Rechte.
Der Begriff '''Proprietarismus''' (abgleitet von lateinsch "proprius", zu deutsch: "das Eigene", "das Persönliche", "Eigentum") bezeichnet eine Ideologie, die das Recht von Eigentümer*innen, ihre Produktionsmittel zu besitzen und möglichst uneingeschränkt zu nutzen, als wichtiger erachtet als alle anderen Rechte.


Der ''Proprietarismus'' wird oft auch ''Anarcho-Kapitalismus'' (''AnCap'' oder ''AnKap'') oder ''Libertarismus'', manchmal auch mit verschiedenen Zusätzen wie ''Marktlibertarismus'', ''Rechtslibertarismus'' oder ''Paläolibertarismus'' genannt. Diese Begriffe sind problematisch, weil sowohl der Begriff ''Libertarismus'' als auch der Begriff ''Anarchismus'' in den Ursprungsbedeutungen nicht mit ''proprietaristischen'' Ideen zu vereinbaren sind.
Der ''Proprietarismus'' wird oft auch ''Anarcho-Kapitalismus'' (''AnCap'' oder ''AnKap'') oder ''Libertarismus'', manchmal auch mit verschiedenen Zusätzen wie ''Marktlibertarismus'', ''Rechtslibertarismus'' oder ''Paläolibertarismus'' genannt. Diese Begriffe sind problematisch, weil sowohl der Begriff ''Libertarismus'' als auch der Begriff ''Anarchismus'' in den Ursprungsbedeutungen nicht mit ''proprietaristischen'' Ideen zu vereinbaren sind.

Version vom 18. Februar 2022, 08:51 Uhr

Autor: Andreas Kemper

Der Begriff Proprietarismus (abgleitet von lateinsch "proprius", zu deutsch: "das Eigene", "das Persönliche", "Eigentum") bezeichnet eine Ideologie, die das Recht von Eigentümer*innen, ihre Produktionsmittel zu besitzen und möglichst uneingeschränkt zu nutzen, als wichtiger erachtet als alle anderen Rechte.

Der Proprietarismus wird oft auch Anarcho-Kapitalismus (AnCap oder AnKap) oder Libertarismus, manchmal auch mit verschiedenen Zusätzen wie Marktlibertarismus, Rechtslibertarismus oder Paläolibertarismus genannt. Diese Begriffe sind problematisch, weil sowohl der Begriff Libertarismus als auch der Begriff Anarchismus in den Ursprungsbedeutungen nicht mit proprietaristischen Ideen zu vereinbaren sind.

Der Proprietarismus strebt die Abschaffung des Allgemeinen Wahlrechts, also die Abschaffung der Demokratie an, da die Mehrheit nicht über das Eigentum bzw. Vermögen von Minderheiten bestimmen dürfe. Steuern seien gleichzusetzen mit Raub und der Sozialstaat, wenn nicht sogar alle Staaten, seien abzuschaffen. Der Proprietarismus findet sich vor allem in der Schule und Weiterentwicklung von Ludwig Mises und Friedrich August Hayek. In Deutschland wird der Proprietarismus unter anderem von der Zeitschrift Eigentümlich frei und von dem Mises Institut Deutschland vertreten.

Geschichte

Die Eigentumsgesellschaften des Frühkapitalismus

Der Proprietarismus entstand als Legitimations-Ideologie des Frühkapitalismus. Proprietarist*innen verherrlichen daher oftmals den Manchester-Kapitalismus.

Der französische Wirtschaftsforscher Thomas Piketty beschreibt in seinem Buch „Kapital und Ideologie“, wie nach dem feudalen Wirtschaftssystem die sogenannten „Eigentumsgesellschaften“ entstanden sind. In dieser kapitalistischen Phase hatten Arbeiter*innen kaum Rechte, es gab kein Sozialsystem und auch kein gleiches, geheimes, allgemeines Wahlrecht für Arbeiter*innen. Jede Gesellschaftsform hat eine eigene Rechtfertigungsideologie. Die Ideologie der von Piketty als Eigentumsgesellschaften bezeichnete Formen argumentiert mit Stabilität und Emanzipation. Piketty: „Von Anfang an beruht die proprietaristische Ideologie auf einem Versprechen von sozialer und politischer Stabilität, aber auch von individueller Emanzipation durch das Eigentumsrecht, das angeblich allen offenstehe, oder wenigstens allen Erwachsenen männlichen Geschlechts, denn die proprietaristischen Gesellschaften des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts sind mit der ganzen Macht und Gründlichkeit eines modernen zentralisierten Rechtssystems patriarchalisch.“[1]

Diese Bezugnahme auf das Eigentum kann also nach Piketty auch genutzt werden, um Emanzipationsprozesse voranzubringen. Pikettys Begriff von "Proprietarismus" ist sehr weit gefasst. er sieht beispielsweise auch in der Sozialdemokratie eine kritische Erscheinungsform des Proprietarismus. Allerdings könne der Proprietarismus auch das Eigentum sakralisieren: „Vom 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg setzten sich vor allem der übersteigerte Proprietarismus und die Quasi-Sakralisierung des Privateigentums durch.“ (ebd.: 167). Hierbei sei ein zentrales Argument des sakralen Proprietarismus, dass der Begriff der soziale Gerechtigkeit „unausweichlich immer unvollkommen definiert und akzeptiert sei“ (ebd.) und dass daher ein Hinterfragen der Eigentumsverteilung zu einem unendlichen Sog ins Chaos würde, was letztlich auch den Armen schade. Dieses Argument der Stabilität nahm nach Piketty religiöse Züge an und bestimmte auch die Ablehnung des allgemeinen Wahlrechts. Die 'weichere' und kritischere Form des Proprietarismus, wie sie sich in der Sozialdemokratie und neoliberalen Positionen darstellte, argumentiert hingegen mit der Emanzipation und daher meritokratisch: Eigentum soll erhalten, wer etwas leistet (ebd.). Für die heutigen kapitalistischen Gesellschaften wird (noch) der meritokratische Proprietarismus herangezogen: „Den Ungleichheiten Sinn zu verleihen und die Position der Gewinner zu rechtfertigen ist eine überlebenswichtige Frage. Die Ungleichheit ist ein erster Linie ideologischer Natur. Der heutige Neoproprietarismus versteht sich gerade deshalb als meritokratisch, weil er nicht mehr explizit ein Zensussystem [z.B. Dreiklassenwahlrecht; A.K.] vertreten kann, anders als der klassische Proprietarismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts.“ (ebd.: 890).

Der Proprietarismus der Mises Institute

Der Proprietarismus im engeren Sinne, der sakrale Proprietarismus, strebt eine modernisierte Form der Eigentumsgesellschaften an, bspw. die reinen Privatrechtsgesellschaften nach Hans-Hermann Hoppe, wie sie in den Mises Instituten gepredigt werden. Staatliche Institutionen sollen möglichst vollständig von Unternehmen ersetzt werden, also auch Gerichte und Polizei. Steuern und Sozialstaat werden in dieser Ideologie als "Raub" bezeichnet.

Differenz zwischen Libertarismus/ Anarchismus und Proprietarismus

Die erste politische Verwendung des Ausdrucks „libertär“ stammt von dem Anarchisten Joseph Déjacque. In einem Brief an Pierre-Joseph Proudhon warf er den bürgerlichen Anarchisten Frauenverachtung und Wirtschaftsliberalismus vor: "Sie sind ein Anarchist des Juste-Milieu, liberal und nicht LIBERTÄR, Sie wollen freien Handel für Baumwolle und Kerzen, und Sie befürworten Schutzsysteme für den Mann gegen die Frau"[2] und gründete ein Jahr später die anarcho-kommunistische Zeitschrift Le Libetair[3] Damit steht der Begriff "libertär" dem Proprietarismus diametral gegenüber. Der Proprietarismus ist anti-libertär.

Ähnliches gilt für die Bezeichnung Anarcho-Kapitalismus. Anarchismus bedeutet An-Archos: Freiheit von Herrschaft. Der Kapitalismus, vor allem in seiner proprietaristischen Spielart der fast uneingeschränkten Priatunternehmer*innen-Interessen, ist aber ein Herrschaftssystem, mit klaren Befehlhierarchien innerhalb der Unternehmen. Anarcho-Kapitalismus ist daher ein Widerspruch in sich.

Ähnlich formulierte dies auch der Anarchist Murray Bookchin. Er bezeichnete die sogenannten Libertäre, die Ayn Rand-Anhänger*innen als Propertarians[4]

Literatur

  • Bookchin, Murray (1986): The Greening of Politics: Toward a New Kind of Political Practice, Green Perspectives: Newsletter of the Green Program Project, No. 1 January 1986, Link
  • Piketty, Thomas (2020): Kapital und Ideologie, München

Einzelnachweise

  1. Piketty, Thomas (2020): Kapital und Ideologie, München, S. 164
  2. Im französischen Original: "Anarchiste juste-milieu, libéral et non LIBERTAIRE, vous voulez le libre échange pour le coton et la chandelle, et vous préconisez des systèmes de l'homme contre la femme") Joseph Déjacque: Letter to P. J. Proudhon
  3. s.a. Wikipedia-Artikel zu Joseph Déjaque
  4. Bookchin, Murray (1986): The Greening of Politics: Toward a New Kind of Political Practice, Green Perspectives: Newsletter of the Green Program Project, No. 1 January 1986, Link