Akademisches Proletariat: Unterschied zwischen den Versionen

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Spätestens mit der Studierendenbewegung ab den 1960er Jahren wird zudem eine fächerbezogene Studienwahl als Gefahr der Entstehung eines ''Akademischen Proletariats'' benannt. [[Winfried Schlaffke]], späterer Geschäftsführer und stv. Direktor des [[Institut der deutschen Wirtschaft|Instituts der deutschen Wirtschaft]] (Mutterorganisation des "[[Institut für Neue Soziale Marktwirtschft|Instituts für Neue Soziale Marktwirtschaft]]" (ISM) beklagte in seinem Buch "Akademisches Proletariat?", dass vor allem zu viel Soziologie und Politologie studiert werden und diese Fachbereiche zu "ideologisch" ausgerichtet seien. Hierdurch entstünde nicht nur ein Mangel in wirtschaftlich relevanteren Berufszweigen, sondern das so entstehende ''Akademische Proletariat'' sei zudem zu kritisch gegenüber der bestehenden Gesellschaftsordnung eingestellt:
Spätestens mit der Studierendenbewegung ab den 1960er Jahren wird zudem eine fächerbezogene Studienwahl als Gefahr der Entstehung eines ''Akademischen Proletariats'' benannt. [[Winfried Schlaffke]], späterer Geschäftsführer und stv. Direktor des [[Institut der deutschen Wirtschaft|Instituts der deutschen Wirtschaft]] (Mutterorganisation des "[[Institut für Neue Soziale Marktwirtschft|Instituts für Neue Soziale Marktwirtschaft]]" (ISM) beklagte in seinem Buch "Akademisches Proletariat?", dass vor allem zu viel Soziologie und Politologie studiert werden und diese Fachbereiche zu "ideologisch" ausgerichtet seien. Hierdurch entstünde nicht nur ein Mangel in wirtschaftlich relevanteren Berufszweigen, sondern das so entstehende ''Akademische Proletariat'' sei zudem zu kritisch gegenüber der bestehenden Gesellschaftsordnung eingestellt:
  „Als akademisches Proletariat pflegt man ja solche Gruppen von Intellektuellen zu bezeichnen, denen es nicht gelingt, sich in die Gesellschaft zu integrieren, deren Einkommensentwicklung im Vergleich zu ihrem Leistungsvermögen und zu anderen Schichten zurückgeblieben ist und die daher ein Kampfstellung gegen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft eingenommen haben, weil sie keinen anderen Weg sehen, aus ihrer Lage herauszukommen."<ref>Winfried Schlaffke (1972): Akademisches Proletariat?, Osnabrück</ref>
  „Als akademisches Proletariat pflegt man ja solche Gruppen von Intellektuellen zu bezeichnen, denen es nicht gelingt, sich in die Gesellschaft zu integrieren, deren Einkommensentwicklung im Vergleich zu ihrem Leistungsvermögen und zu anderen Schichten zurückgeblieben ist und die daher ein Kampfstellung gegen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft eingenommen haben, weil sie keinen anderen Weg sehen, aus ihrer Lage herauszukommen."<ref>Winfried Schlaffke (1972): Akademisches Proletariat?, Osnabrück</ref>
Diese Argumentation führte zusammen mit antisemitischen und frauenfeindlichen Ideologien im Nationalsozialismus zum "Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen" vom 26.04.1933. Fortan wurden bis zur Zerschlagung des nationalsozialistischen Regimes Maximalquoten von "arischen" und "nicht-arischen" Mädchen/Frauen und Jungen/Männern als Lernende in den Bildungsinstitutionen festegelegt.


=== Sozialvertikale Zusammenhänge ===
=== Sozialvertikale Zusammenhänge ===

Version vom 28. Juni 2022, 14:11 Uhr

Diskursatlas Klassismus
Diskursthema:
Politik/Demokratie Familie/Bevölkerung
Bildung/Sprache Arbeit/Ökonomie Verteilung/Gleichstellung
Narrativ:
Akademisches Proletariat

Autor: Andreas Kemper

Der Ausdruck Akademisches Proletariat findet u. a. als klassistisches Narrativ in den Diskursthemen Bildung/Sprache, Familie/Bevölkerung und Arbeit/Ökonomie Anwendung.

Geschichte und Bedeutung des Narrativs Akademisches Proletariat

Akademisches Proletariat im Nationalliberalismus im 19. Jahrhundert

Bereits 1972 bemerkte Winfried Schlaffke, dass vor dem Akademischen Proletariat bereits seit über einem Jahrhundert gewarnt werde.[1] Tatsächlich findet sich im nationalliberalen Magazin Die Grenzboten in einem anonymen Artikel von 1896 die Bemerkung, dass auch schon Bismarck sich des Ausdrucks Akademisches Proletariat bedient haben solle, vorerst aber nur als Warnung vor russischen Verhältnissen, während nun kurz vor der Jahrhundertwende offensichtlich auch in Deutschland ein "Akademisches Proletariat" entstanden sei.[2] Im Artikel wird nicht nur vor diesem Akademischen Proletariat gewarnt, sondern auch kritisiert, dass finanzielle Hilfen für ärmere Studenten nur zum Saufen verprasst werden. Nicht nur führe diese Unterstützung zum "Pauperismus", auch der Unterstützte würde letztlich leiden. Tatsächlich gehöre Besitz und Bildung zusammen: "Es läßt sich nun einmal nicht verkennen, [...] ein gewisser Besitz verbürgt, um es möglichst vorsichtig auszudrücken, in der Regel ein gewisses Verhalten des betreffenden Besitzers.[…] Wer aber Aufwand aus eignen Mitteln für Zwecke höherer Bildung zu machen gewohnt ist, lernt beides früh zu einander in Verhältnis setzen, und solche Anschauung vererbt sich vom Vater auf den Sohn, oder richtiger: die Familie gibt sie dem Einzelnen mit ins Leben, und draußen lernt er dann erkennen, was diese Gabe wert ist.[…] Und diese gute Gewöhnung einer höhern Kultur, wenn auch des Einzelnen persönliches Verdienst darum nicht mehr groß ist, wollen wir nicht gering achten."[3]

Akademisches Proletariat im völkischen Denken in der Weimarer Republik

In der Weimarer Republik griff vor allem die völkische Bewegung der Jungkonservativen das Narrativ des Akademischen Proletariats auf und verband dies mit ihrem Elitismus. Fritz Schlamp kritisierte in seinem Artikel, dass viele Studierende nicht mehr der Wissenschaft verbunden seien und verglich diesen nun im Gegensatz zu früheren Zeiten vermeintlich fehlenden Ehrgeiz mit der Handarbeit:

„Die Entwicklung ist die gleiche wie beim Handarbeiter: vom Lehrling zum Gesellen und – Meister werden nur wenige; das andere bleibt – Proletariat!“[4]

Schlamp macht hier drei Fehler aus:

„Betrachten wir diese drei Beispiele näher, so ergibt sich:
1. Eine falsche Fragestellung der Berufswahl,
2. ein übergroßes Angebot an Akademikern,
3. eine falsche innere Einstellung zum akademischen Beruf
sind die charakteristischen Merkmale unseres heutigen jungen Akademikertums.“[5]

Dem Handwerk würden mit dem Akademischen Proletariat die intelligenten Leute entzogen, argumentiert Schlamp. Auch sei eine Studienbeihilfe nicht sozial: „War man fürher bestrebt im Rahmen einer gesunden Familienpolitik hochqualifizierte Leistungen zu erzielen, so soll es heute rascher gehen und nicht die Leistung ist die Hauptsache, sondern der dadurch erzielte Gewinn, der Verdienst. Das ist das große Bedenken, das ich von jeher gegen alle studentischen Hilfsorganisationen, soviel Begrüßenswertes sie auch manchmal leisten mögen, hegte"[6] Hier bezieht sich Schlamp auf den Vordenker Edgar Julius Jung, der am 16.07.1927 in der Einleitungsrede des 10. Deutschen Studententages gesagt habe: "Nicht der handelt sozial, der aus schwächlicher Mitleidseinstellung unterschiedslos das Einzelwohl behütet, sondern wer die Gesundheit des Volkskörpers in seiner Gesamtheit pflegt." Schlamp bezieht diesen Satz auf die studentischen Hilfsorganisationen und setzt diese eine Jahrhunderte währende "organische" Familienentwicklung gegenüber:

"Man kann sich mit Recht fragen, ob der Weg, den diese Kreise des Mittelstandes, wie oben geschildert, einschlagen, um aus einer Arbeiterfamilie in der Reihenfolge mehrerer Familiengenerationen einen Akademikerstand herauszukristallisieren, ob dieser Weg nicht sozialer im Sinn obigen Satzes ist, nicht eine bessere Lösung des sozialen Problems darstellt, als die, mit Hilfe staatlicher und privater Wohlfahrtseinrichtungen diese organische Entwicklung zu durchbrechen und unter Umständen aus einem Proletarier einen – akademischen Proletarier zu machen."[7]

Akademisches Proletariat als Narrativ von Wirtschaftsverbänden seit 1970

Spätestens mit der Studierendenbewegung ab den 1960er Jahren wird zudem eine fächerbezogene Studienwahl als Gefahr der Entstehung eines Akademischen Proletariats benannt. Winfried Schlaffke, späterer Geschäftsführer und stv. Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (Mutterorganisation des "Instituts für Neue Soziale Marktwirtschaft" (ISM) beklagte in seinem Buch "Akademisches Proletariat?", dass vor allem zu viel Soziologie und Politologie studiert werden und diese Fachbereiche zu "ideologisch" ausgerichtet seien. Hierdurch entstünde nicht nur ein Mangel in wirtschaftlich relevanteren Berufszweigen, sondern das so entstehende Akademische Proletariat sei zudem zu kritisch gegenüber der bestehenden Gesellschaftsordnung eingestellt:

„Als akademisches Proletariat pflegt man ja solche Gruppen von Intellektuellen zu bezeichnen, denen es nicht gelingt, sich in die Gesellschaft zu integrieren, deren Einkommensentwicklung im Vergleich zu ihrem Leistungsvermögen und zu anderen Schichten zurückgeblieben ist und die daher ein Kampfstellung gegen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft eingenommen haben, weil sie keinen anderen Weg sehen, aus ihrer Lage herauszukommen."[8]

Diese Argumentation führte zusammen mit antisemitischen und frauenfeindlichen Ideologien im Nationalsozialismus zum "Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen" vom 26.04.1933. Fortan wurden bis zur Zerschlagung des nationalsozialistischen Regimes Maximalquoten von "arischen" und "nicht-arischen" Mädchen/Frauen und Jungen/Männern als Lernende in den Bildungsinstitutionen festegelegt.

Sozialvertikale Zusammenhänge

Sozialvertikale Bezüge sind in den meisten der Beiträge mit dem klassistischen Narrativ Akademisches Proletariat zu finden. Abgesehen vom typisch sozial-vertikalem Vokabular der Bildungssprache mit Begriffen wie ^Schicht, ^Aufstieg oder ^Hochschule[9], finden sich auch sehr explizite sozial-vertikale Verortungen des Narrativs Akademisches Proletariat: So lautet bereits der anonyme Artikel im nationalliberalen Magazin Die Gegenboten "Von unten nach oben".[10] Eine ^Niedere Schicht wird hier der ^Hochkultur gegenübergestellt. Auch im Artikel des Jungkonservativen Fritz Schlamp von 1928 sieht junge Menschen, die in der praktischen Arbeit durch Intelligenz gegenüber anderen ^himmelhoch ^emporgehoben wären, als akademisches Proletariat ^herabgesunken zum Mittelmaß.[11]

Äußerungen im Narrativ Akademisches Proletariat

  • 1896: Im Artikel „Von Unten nach Oben“ der nationalliberalen Zeitschrift Die Grenzboten heißt es unter anderem:
„Als man vor einer Reihe von Jahren bei uns zuerst den Ausdruck 'studiertes Proletariat' oder 'akademisches Proletariat' hörte, da wurde er von einzelnen, z. B. von Bismarck in der vielleicht zu wohlwollenden Voraussetzung gebraucht, als ob man die Sache, die damit bezeichnet werden sollte, in Deutschland noch nicht hätte. Man wollte damit vielmehr vor einer künftigen Gefahr warnen, wozu man die Beispiele damals noch aus Rußland übernehmen mußte. Gegenwärtig wird auch der größte Optimist zugeben, daß wir mit selbstgezognem Material dienen können.. Dem gegenüber wäre wohl einmal zu erwägen, ob bei solcher Überfüllung der akademischen Berufe die „Zuckerprämie" auf der Universität überhaupt noch einen Sinn habe? Manches, wie die auf Stiftungen, namentlich einzelner Familien beruhenden Stipendien, wird sich nicht ohne weiteres beseitigen lassen, es hat aber auch eine andre praktische Bedeutung. Freitische dagegen und allgemeine kleine Geldstipendien („Saufstipendien" nennt sie hie und da der Student) sind Mittel zur Beförderung eines Pauperismus, mit dessen Pflege dem Staat und der Allgemeinheit kein Dienst erwiesen wird, dem Einzelnen aber auch nur selten ein wirkliches Glück geschieht. Der Staat könnte ohne irgend einen Schaden auf den Ersatz seines höhern Mittelstandes aus der niedern Volksschicht verzichten, und wenn er nur Mittel stände, ihn zu verhindern, so würde auch dem Einzelnen nichts entzogen werden. (S. 509) […] [Der Verfasser hat] zahlreiche Menschen kennen gelernt, die geradeswegs von unten nach oben strebten, aber unter diesen Hunderten wüßte er nur wenige zu nennen, die sich und andre in diesem Streben glücklich gemacht haben. (ebd.) […] Es läßt sich nun einmal nicht verkennen, [...] : ein gewisser Besitz verbürgt, um es möglichst vorsichtig auszudrücken, in der Regel ein gewisses Verhalten des betreffenden Besitzers. (S. 509f.) […] Man kann sogar sagen: der Parvenü findet das richtige Verhalten zu dem äußern Besitz fast nie. Ihm wird seine Herkunft immer anhängen. Wer aber Aufwand aus eignen Mitteln für Zwecke höherer Bildung zu machen gewohnt ist, lernt beides früh zu einander in Verhältnis setzen, und solche Anschauung vererbt sich vom Vater auf den Sohn, oder richtiger: die Familie gibt sie dem Einzelnen mit ins Leben, und draußen lernt er dann erkennen, was diese Gabe wert ist. Das bedeutet noch lange nicht die Einerleiheit von 'Besitz und Bildung', aber wohl bezeichnet es den Weg, wo beides zu einer Einheit werden konnte. Was ich mir geistig erwerbe, ist mein eigen. Wenn ich dafür äußere Mittel aufwenden kann, so bin ich besser dran als mancher andre. (S. 510) […] Und diese gute Gewöhnung einer höhern Kultur, wenn auch des Einzelnen persönliches Verdienst darum nicht mehr groß ist, wollen wir nicht gering achten. Wir können dabei wohlthun und mitteilen und brauchen noch lange kein Mammonsdiener zu sein, wenn wir meinen, daß auch die Bildung im letzten Sinne etwas kastenartiges hat und an die Grenzen eines gewissen äußern Verhaltens gebunden ist. (ebd.)“[12]
(siehe auch Narrative: Unterstützung wird versoffen, Niedere Schicht, Hochkultur)
  • 28.05.1928: In der Greifswalder Universitäts-Zeitung von 1928 wird der Artikel „Akademisches Proletariat des Jungkonservativen Fritz Schlamp nachgedruckt, wo u.a. gesagt wird:
„Akademisches Proletariat […] es ist der viel zu große Zustrom von jungen Menschen, die im praktischen Leben als Handwerker, Kaufleute usw. bedeutend mehr leisten würden, als in akademischen Berufen, die in der Wirtschaft ohne wissenschaftliche Belastung und ohne den Verlust vieler Jahre des Studiums und ihrer Intelligenz, die sie von anderen Konkurrenten unterscheidet und über sie emporhebt, Gutes und Wertvolles über dem Durchschnitt Liegenden leisten würden, aber als Akademiker im Mittelmäßigen stecken bleiben müssen. Diese Tatsache geht aber auf eine in unserem Volk leider herrschende Ansicht zurück, daß körperliche Arbeit zu verachten sei und Arbeit nur des dadurch erzielten Gewinnes wegen geleistet wird. Bei den Handarbeitern gibt es Proletarier in dem hier gebrauchten Sinn und andere, die stolz auf ihren Beruf sind, in ihm Qualitätsleistungen liefern.[...] Für den Außenstehenden hat es den Anschein, als ob durch reine Kopfarbeit Geld müheloser verdient werden würde und erst zu spät, in hohen Semestern, erkennt dann der Student, daß ihm an Arbeit nichts erspart bleibt. Jetzt – zu spät um einen anderen Beruf zu wählen – schlägt er sich recht und schlecht durch, besteht die vorgeschriebenen Examina und wir bald – akademischer Proletarier. Er, der, wäre er in einem praktischen Beruf eingetreten, dort Spitzenleistungen vollbracht hätte, sinkt hier zum Durchschnitt herab, ist unzufrieden und ohne Arbeitsfreude, da nennenswerte Erfolge naturgemäß ausbleiben. […] Ein Satz der Rede des Herrn Rechtsanwalt Dr. E. Jung  München am 16.7.27 in der Aula unserer Alma Julia als Einleitungsrede zum 10. Deutschen Studententag ist mir unvergeßlich: 'Nicht der handelt sozial, der aus schwächlicher Mitleidseinstellung unterschiedslos das Einzelwohl behütet, sondern wer die Gesundheit des Volkskörpers in seiner Gesamtheit pflegt.' Man kann sich mit Recht fragen, ob der Weg, den diese Kreise des Mittelstandes, wie oben geschildert, einschlagen, um aus einer Arbeiterfamilie in der Reihenfolge mehrerer Familiengenerationen einen Akademikerstand herauszukristallisieren, ob dieser Weg nicht sozialer im Sinn obigen Satzes ist, nicht eine bessere Lösung des sozialen Problems darstellt, als die, mit Hilfe staatlicher und privater Wohlfahrtseinrichtungen diese organische Entwicklung zu durchbrechen und unter Umständen aus einem Proletarier einen – akademischen Proletarier zu machen. […] Man kann den bestbezahlten Posten kleiden und doch Proletarier sein, und man kann gering entlohnt werden und doch seinen Beruf mit soviel Persönlichkeit ausfüllen, daß man himmelhoch über allen Proletariern steht. […] Unter diesem Gesichtswinkel betrachtet verliert die Frage der wachsenden Überfüllung der akademischen Berufe und der wirtschaftlichen Gefahren, die die Überfüllung der Universitäten mit sich bringt, an Bedeutung neben den geistigen Gefahren, die ein akademisches Proletariat für die deutsche und damit zweifellos für die europäische Kultur in sich trägt.“[13]
(siehe auch Narrative: Akademikerschwemme, Erhebung, Proletarier, Absinken, Volkskörper, Organische Entwicklung)
  • 1972: Winfried Schlaffke warnte in seinem Buch Akademisches Proletariat? vor der Entstehung eines solchen u.a. mit folgenden Worten:
„Als akademisches Proletariat pflegt man ja solche Gruppen von Intellektuellen zu bezeichnen, denen es nicht gelingt, sich in die Gesellschaft zu integrieren, deren Einkommensentwicklung im Vergleich zu ihrem Leistungsvermögen und zu anderen Schichten zurückgeblieben ist und die daher ein Kampfstellung gegen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft eingenommen haben, weil sie keinen anderen Weg sehen, aus ihrer Lage herauszukommen. Vor den Gefahren eines solchen akademischen Proletariats wird seit über hundert Jahren immer wieder gewarnt. Unsere gegenwärtige Bildungsexpansion, die selbst die seriöse Literatur mit Begriffen wie 'Abiturientenexplosion' und 'Studenteneskalation' umschreibt, nährt […] die Furcht vor den viel zu vielen Hochschulabsolventen. [S.9] […] Die zu Recht weltweit diskutierte bildungspolitische Forderung nach Chancengleichheit verführte zu […] falschen Schlüssen. Man bemühte sich nämlich nicht, jedem auf seinem Begabungsfeld die denkbar beste Förderung und Entwicklung angedeihen zu lassen und ihm die entsprechen Möglichkeiten des Aufstiegs zu bieten, sondern glaubte allen Ernstes, Chancengleichheit sei nur eine Frage der Organisation, die möglichst alle Bildungswege in der Hochschule enden läßt und das, obwohl von hundert Hauptschülern dreißig ihr Ziel nicht erreichen. […] Die weitere Folge war die ideelle und finanzielle Vernachlässigung der beruflichen Bildung seitens jener Bildungspolitik, die die Voraussetzung der Chancengleichheit nicht etwa in der Vielfalt des Bildungswesens und nicht in der Anerkennung hochwertiger praktischer Bildung, sondern in der Gleichmacherei einer möglichst langen 'Verweildauer' aller in allgemeinbildenden Schulen als gegeben ansahen. [S.39f.] […] 'Wenn die bisher üblichen Verfahren der Ausbildung, der Berechtigung und Laufbahnen mit schnell steigenden Studentenmengen fortgeführt werden, sind', befürchten Friedrich Edding und Dietrich Goldschmitdt […] 'schwere Spannungen unvermeidbar'. Damit ist in der Tat das Kernproblem bezeichnet, das gar nicht einmal primär in der rasch zunehmenden Zahl von Akademikern, also nicht in der Quantität, sondern in den einseitig oder verfehlt angelegten Studiengängen und -inhalten besteht. […] Wie will der Politologe, dessen Hauptgebiete 'Theorie des Klassenkampfes' und 'Strategie der Systemüberwindung' waren, seinen Schülern im Sozialkundeunterricht das Funktionieren unseres Wirtschaftssystems beibringen? [S. 47f.] […] Es ist längst kein Geheimnis mehr, daß an unseren Hochschulen die Studien- und Prüfungsreform liegengeblieben ist, daß Ideologisierung und Radikalisierung zu einem Leistungsabfall geführt haben und daß die quantitative 'Studenteneskalation' die Chancen im späteren Beruf beeinträchtigt und die jungen Menschen verunsichert.“[14]
(siehe auch Narrative: Akademikerschwemme, Chancengleichheit, Begabung, Gleichmacherei, Ideologisierung)

Verkettungen mit anderen klassistischen Narrativen

Die oben genannten Äußerungen zeigen, dass das Narrativ Akademisches Proletariat mit folgenden Narrativen verkettet ist, die ebenfalls als „klassistisch“ identifiziert wurden. Hierbei ist zu beachten, dass ein Ausdruck verschiedene Bedeutungen haben und für verschiedene Erzählungen - also für verschiedene Narrative - stehen kann. Daher findet hier nicht der Ausdruck an sich, sondern eine bestimmte Lesart dieses Ausdruck, ein bestimmtes Narrativ, nämlich das klassistische Narrativ, Beachtung.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Winfried Schlaffke (1972): Akademisches Proletariat?, Osnabrück, S. 9
  2. Anonym (1896): Von unten nach oben, in: Die Grenzboten. 55. Jg, 1896 Bd 2, S. 509 Link).
  3. ebd, S. 509ff.
  4. Fritz Schlamp: Akademisches Proletariat, in: Greifswalder Universitäts-Zeitung vom 28.05.1928 Link
  5. Fritz Schlamp: Akademisches Proletariat, in: Greifswalder Universitäts-Zeitung vom 28.05.1928 Link
  6. ebd.
  7. ebd.
  8. Winfried Schlaffke (1972): Akademisches Proletariat?, Osnabrück
  9. Winfried Schlaffke (1972): Akademisches Proletariat?, Osnabrück
  10. Anonym (1896): Von unten nach oben, in: Die Grenzboten. 55. Jg, 1896 Bd 2 Link).
  11. Fritz Schlamp: Akademisches Proletariat, in: Greifswalder Universitäts-Zeitung vom 28.05.1928, Abdruck aus der Fränkischen Hochschulzeiung, PDF
  12. Anonym (1896): Von unten nach oben, in: Die Grenzboten. 55. Jg, 1896 Bd 2, S.496-511 PDF)
  13. Fritz Schlamp: Akademisches Proletariat, in: Greifswalder Universitäts-Zeitung vom 28.05.1928, Abdruck aus der Fränkischen Hochschulzeiung, PDF
  14. Winfried Schlaffke (1972): Akademisches Proletariat?, Osnabrück