Vertikalstruktur des Gesellschaftsbildes: Unterschied zwischen den Versionen

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Das vertikalstrukturierte Gesellschaftsbild vorkapitalistischer Klassengesellschaften ist statisch und der Ursprungsort des Wertvollen ist oben und strahlt nach unten abnehmend aus, wobei die Herrschenden als das Oben und das Geheiligte gedacht werden. Zugleich gibt es in diesem Gesellschaftsbild eine weitere Kraft des Unterirdischen, welches böse sei, nach unten ziehe und verwirre.
Das vertikalstrukturierte Gesellschaftsbild vorkapitalistischer Klassengesellschaften ist statisch und der Ursprungsort des Wertvollen ist oben und strahlt nach unten abnehmend aus, wobei die Herrschenden als das Oben und das Geheiligte gedacht werden. Zugleich gibt es in diesem Gesellschaftsbild eine weitere Kraft des Unterirdischen, welches böse sei, nach unten ziehe und verwirre.
Im europäischen Mittelalter wurde die gesamte Natur als ''Scala Naturae'' vertikal gedacht, noch heute sprechen wir von ^niederen Pflanzen und ^höheren Säugetieren bis zur ^Krone der Schöpfung. An dieser vertikalen Struktur der Natur schloss sich die Engelshierarchie an, die schließlich zu Gott führte.


== Kapitalistische Klassengesellschaften und vertikalstrukturierte Gesellschaftsbilder ==
== Kapitalistische Klassengesellschaften und vertikalstrukturierte Gesellschaftsbilder ==
Mit der kapitalistischen Industrialisierung befinden sich Gesellschaften in dem Widerspruch, dass Arbeit zunehmend gesellschaftlich stattfindet, das Produkt der Arbeit aber privatisiert wird. Während also kapitalistische Gesellschaften noch mit der privaten Aneignung gesellschaftlicher Produkte Feudalstrukturen aufweisen, haben sie diese mit der gesellschaftlichen Produktionsweise überwunden.
Mit der kapitalistischen Industrialisierung befinden sich Gesellschaften in dem Widerspruch, dass Arbeit zunehmend gesellschaftlich stattfindet, das Produkt der Arbeit aber privatisiert wird. Während also kapitalistische Gesellschaften noch mit der privaten Aneignung gesellschaftlicher Produkte Feudalstrukturen aufweisen, haben sie diese mit der gesellschaftlichen Produktionsweise überwunden.


Dieser gesellschaftliche Widerspruch findet sich im vertikalstrukturierten Gesellschaftsbild als Kompromiss und wird mit der Konzeption von Anlage und Bewährung verbunden. Während auch in kapitalistischen Klassengesellschaften die herrschende Klasse als das Höhere und damit als das Bessere verortet wird, kommt mit der gesellschaftlichen Arbeit eine andere Topologie des Gesellschaftbildes ins Spiel: der gesellschaftliche Fortschritt, der als horizontaler Vektor in der Leserichtung westlicher Staaten von links nach rechts weist. Der Fortschrittsvektor enthält die Dynamik der Verbesserung. Als zukleisternder Kompromiss des Widerspruchs zwischen privater Aneignung und seinem Oben-Unten-Bild und dem gesellschaftlich-industrieller Arbeit mit seinem Gild des horizontalen Vorwärts entstand das Bild der ''Höherentwicklung'', wie wir es aus Börsendiagrammen kennen. Dabei konnte sich dieses Bild der zeitlichen Höherentwicklung auf archäologische Funde beziehen, die alte Stadtbauwerke verschüttet unter neuen Städten entdeckten und ältere Fossilien in tieferen Schichten.
Dieser gesellschaftliche Widerspruch findet sich im vertikalstrukturierten Gesellschaftsbild als Kompromiss und wird mit der Konzeption von Anlage und Bewährung verbunden. Während auch in kapitalistischen Klassengesellschaften die herrschende Klasse als das Höhere und damit als das Bessere verortet wird, kommt mit der gesellschaftlichen Arbeit eine andere Topologie des Gesellschaftbildes ins Spiel: der gesellschaftliche Fortschritt, der als horizontaler Vektor in der Leserichtung westlicher Staaten von links nach rechts weist. Der Fortschrittsvektor enthält die Dynamik der Verbesserung. Als zukleisternder Kompromiss des Widerspruchs zwischen privater Aneignung und seinem Oben-Unten-Bild und dem gesellschaftlich-industrieller Arbeit mit seinem Gild des horizontalen Vorwärts entstand das Bild der ''Höherentwicklung'', wie wir es aus Börsendiagrammen kennen. Dabei konnte sich dieses Bild der zeitlichen Höherentwicklung auf archäologische Funde beziehen, die alte Stadtbauwerke verschüttet unter neuen Städten entdeckten und ältere Fossilien in tieferen Schichten. Das geschichtliche Denken wurde aufgrund dieser Funde tief in der Erde stratifiziert (geschichtet) und diese Stratifizierung hielt auch in der Gesellschaftstheorie eingang, beispielsweise wenn wir von ^Klassenschichten sprechen.
 
In kapitalistischen Klassengesellschaften wird der Aspekt der Leistung für sozialvertikale Bewertungen stärker betont als der Aspekt der Macht. Dem "Erarbeiten" des Obens ("Aufstieg") kommt ein höherer Wert zu. Dieses zeigt sich aber als Bewährung vermeintlicher Anlagen, womit generationenübergreifende Erbschaften ebenso legitimiert werden ("Erbschaft der Intelligenz"), wie das Verharren der sich nicht bewährenden "Unterklasse" in Armut. Die Scala Naturae des Mittelalters wurde in kapitalistischen Gesellschaften dynamisiert.


In kapitalistischen Klassengesellschaften wird der Aspekt der Leistung für sozialvertikale Bewertungen stärker betont als der Aspekt der Macht. Dem "Erarbeiten" des Obens ("Aufstieg") kommt ein höherer Wert zu. Dieses zeigt sich aber als Bewährung vermeintlicher Anlagen, womit generationenübergreifende Erbschaften ebenso legitimiert werden ("Erbschaft der Intelligenz"), wie das Verharren der sich nicht bewährenden "Unterklasse" in Armut.
Der Widerspruch im Kapitalismus zwischen gesellschaftlicher Arbeit (Fortschritt, horizontal) und privater Aneignung der Arbeit (Herrschaft, vertikal) findet sich im bürgerlichen Gesellschaftsbild als Kompromiss der ^Höherentwicklung.


== Das Dachzeichen ^ als Markierung sozialvertikaler Ausdrücke ==
== Das Dachzeichen ^ als Markierung sozialvertikaler Ausdrücke ==

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