Verproletarisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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== Geschichte und Bedeutung des Narrativs ''Verproletarisierung'' ==
== Geschichte und Bedeutung des Narrativs ''Verproletarisierung'' ==
Der Ausdruck ''Verproletarisierung'' oder ''Proletarisierung'' bezieht sich auf die Klasse der Arbeiter*innen im Kapitalismus ("Proletarier*innen"). In seiner klassistischen Verwendung wird ''Verproletarisierung'' gleichgesetzt mit [[Masse|"Vermassung"]]. Die ''Masse'' wird als das ^Niedere, [[Substanz]]lose, Amorphe betrachtet, welches sowohl einen ^[[Verfall]] von Kultur, Gesellschaft, Wirtschaft und Nation bedeute, als auch verführbar für eine Revolution sei.
Der Ausdruck ''Verproletarisierung'' oder ''Proletarisierung'' bezieht sich auf die Klasse der Arbeiter*innen im Kapitalismus ("Proletarier*innen"). In seiner klassistischen Verwendung wird ''Verproletarisierung'' gleichgesetzt mit [[Masse|"Vermassung"]] ("Brüllmasse Volk"): "atomisiert", [[Substanz|substanzlos]], amorph. Die ''Verproletarisierung'' komme einer "Demoralisierung" gleich, das so entstandene Proletariat sei ohne Beziehungen und vor allem familiäre Bindungen, ohne Bildung und Intelligenz ("Brüllmasse", "Stimmpöbel") und ohne Fleiß ("arbeitsscheu"), stattdessen gewalttätig und anfällig für Revolutionen.
 
=== Sozialvertikale Zusammenhänge ===
Das klassistische Narrativ ''Verproletarisierung'' ist in mehrfacher Hinsicht Bestandteil der [[Vertikalstruktur des Gesellschaftsbildes]]. Die ''Verproletarisierung'' [[^]][[Nivellierung|nivelliere]] Kultur, Gesellschaft, Wirtschaft und Nation oder führe gar zu deren [[^]][[Verfall]]. Von [[^]]"unten herauf" würden Kräfte "Güter der Bildung, Poesie und Künste, distinguierte Sitte, [[^]]höhere Wissenschaft" [[^]]herunterziehen. Mit der ''Entproletarisierung'' könnten sich hingegen Teile der Gesellschaft in die Bürgerlichkeit [[^]]erheben.


== Äußerungen im Narrativ ''Verproletarisierung'' ==
== Äußerungen im Narrativ ''Verproletarisierung'' ==
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* 1953: [[Hans Joachim Schoeps]] äußerte in seinem Buch zu den Vorläufern von [[Oswald Spengler]] folgende Formulierungen zu [[Jacob Burckhardt]]s Geschichtspessimismus:
* 1953: [[Hans Joachim Schoeps]] äußerte in seinem Buch zu den Vorläufern von [[Oswald Spengler]] folgende Formulierungen zu [[Jacob Burckhardt]]s Geschichtspessimismus:
  „Gerade die demokratische Bewegung sei es, die bewusst nivelliert und den Gleichheitsdünkel fördert, der immer dann aufkommt, wenn es mit einer Zeit bergab geht. Die Gleichheitsforderung der Demokraten bedrohe genauso die echte Freiheit wie der Absolutismus des 'reinen Machtstandpuntkes die echte Autorität. […] Über VOLLGRAFFs Und LASAULX' Horizont hinaus erkennt BURCKHARDT den inneren Zusammenhang zwischen den aufkommenden hochkapitalistischen Wirtschaftsformen und der zunehmenden Entpersönlichung, Vermassung und Verproletarisierung des Lebens. Politisch sieht er die Macht immer mehr an die 'gottesjämmerliche Majorität', den 'Stimmpöbel' übergehen, weil die 'unwiderstehliche Zunahme der Kräfte von unten herauf in ganz Europa' den Gleichheitsdünkel und die Nivellierungskräfte steigere […] Die bedeutenden Individuen und die wertvollen Minoritäten würden aus dem öffentlichen Leben verdrängt, während die Demokratie – selbst eine 'Ausgeburt mediokrer Köpfe' – zwangsläufig nur 'mediokre Menschen' an die Macht schwemme. […] Die Güter der Bildung, Poesie und Künste, distinguierte Sitte, höhere Wissenschaft aber würden eins nach dem anderen dem Druck der vordringenden Massen im Namen der Demokratie geopfert werden [Anm. 26: […] Durch die Allgemeinbildung der Massen könne das Niveau der wirklichen Bildung nur noch weiter absinken. Das einzige Resultat sei die Schaffung 'endloser Generationen von Unzufriedenen' […] ...] Aber die Erwartung eines kommenden Zeitalters der allgemeinen Barbarei – der Versklavung unter die 'Brüllmasse Volk'  - findet sich auch schon in den Briefen aus den 40er Jahren […], in denen, wie er später sagt […], das 'Gemeinerwerden' der Zeit erstmalig spürbarer wurde.“<ref>Hans Joachim Schoeps: Vorläufer Spenglers: Studien zum Geschichtspessimismus im 19. Jahrhundert, Leiden/ Köln 1953, S. 74ff.</ref>
  „Gerade die demokratische Bewegung sei es, die bewusst nivelliert und den Gleichheitsdünkel fördert, der immer dann aufkommt, wenn es mit einer Zeit bergab geht. Die Gleichheitsforderung der Demokraten bedrohe genauso die echte Freiheit wie der Absolutismus des 'reinen Machtstandpuntkes die echte Autorität. […] Über VOLLGRAFFs Und LASAULX' Horizont hinaus erkennt BURCKHARDT den inneren Zusammenhang zwischen den aufkommenden hochkapitalistischen Wirtschaftsformen und der zunehmenden Entpersönlichung, Vermassung und Verproletarisierung des Lebens. Politisch sieht er die Macht immer mehr an die 'gottesjämmerliche Majorität', den 'Stimmpöbel' übergehen, weil die 'unwiderstehliche Zunahme der Kräfte von unten herauf in ganz Europa' den Gleichheitsdünkel und die Nivellierungskräfte steigere […] Die bedeutenden Individuen und die wertvollen Minoritäten würden aus dem öffentlichen Leben verdrängt, während die Demokratie – selbst eine 'Ausgeburt mediokrer Köpfe' – zwangsläufig nur 'mediokre Menschen' an die Macht schwemme. […] Die Güter der Bildung, Poesie und Künste, distinguierte Sitte, höhere Wissenschaft aber würden eins nach dem anderen dem Druck der vordringenden Massen im Namen der Demokratie geopfert werden [Anm. 26: […] Durch die Allgemeinbildung der Massen könne das Niveau der wirklichen Bildung nur noch weiter absinken. Das einzige Resultat sei die Schaffung 'endloser Generationen von Unzufriedenen' […] Aber die Erwartung eines kommenden Zeitalters der allgemeinen Barbarei – der Versklavung unter die 'Brüllmasse Volk'  - findet sich auch schon in den Briefen aus den 40er Jahren […], in denen, wie er später sagt […], das 'Gemeinerwerden' der Zeit erstmalig spürbarer wurde.“<ref>Hans Joachim Schoeps: Vorläufer Spenglers: Studien zum Geschichtspessimismus im 19. Jahrhundert, Leiden/ Köln 1953, S. 74ff.</ref>
::(siehe auch Narrative: [[Nivellierung]], [[Gleichheitswahn]], [[Masse]], [[Niveau]], [[Pöbel]], [[Minderwertige]], [[Hochkultur]], [[Herunterziehen]])
::(siehe auch Narrative: [[Nivellierung]], [[Gleichheitswahn]], [[Masse]], [[Niveau]], [[Pöbel]], [[Minderwertige]], [[Hochkultur]], [[Herunterziehen]])


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  „Die Gesellschaft hat sich verproletarisiert […] Mit Haferlschuhen in die Oper. Der Krawattenzwang ist abgeschafft. Eine Premiere ist, was es nachher für einen Champagner gibt. Buffet und Charity – das ist der Tod der Gesellschaft. Das hat nichts mit Ideologie oder Bürgertum zu tun. Das Niveau ist in die Tiefe gesackt.“<ref>[https://www.diepresse.com/5369978/die-verproletarisierte-gesellschaft-gibt-es-nur-mehr-schickeria Thomas Chorherr: Die verproletarisierte Gesellschaft: Gibt es nur mehr Schickeria?, in: Die Presse vom 11.02.2018]</ref>  
  „Die Gesellschaft hat sich verproletarisiert […] Mit Haferlschuhen in die Oper. Der Krawattenzwang ist abgeschafft. Eine Premiere ist, was es nachher für einen Champagner gibt. Buffet und Charity – das ist der Tod der Gesellschaft. Das hat nichts mit Ideologie oder Bürgertum zu tun. Das Niveau ist in die Tiefe gesackt.“<ref>[https://www.diepresse.com/5369978/die-verproletarisierte-gesellschaft-gibt-es-nur-mehr-schickeria Thomas Chorherr: Die verproletarisierte Gesellschaft: Gibt es nur mehr Schickeria?, in: Die Presse vom 11.02.2018]</ref>  
::(siehe auch Narrativ [[Niveau]])
::(siehe auch Narrativ [[Niveau]])


* 21.10.2021: [[Thorsten Polleit]] verfasste im Artikel „Der Aufstieg des Neo-Sozialismus“ im Marktreport von [[Degussa Goldhandel]] u.a. folgende Sätze:
* 21.10.2021: [[Thorsten Polleit]] verfasste im Artikel „Der Aufstieg des Neo-Sozialismus“ im Marktreport von [[Degussa Goldhandel]] u.a. folgende Sätze:
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* [[Asoziale]] (3x)
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* [[Ausbeutende Arme]] (2x)
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* [[Erhebung]] (1x)
* [[Gesindel]] (1x)
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* [[Gleichheitswahn]] (1x)
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* [[Totalitarismus]] (1x)
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* [[Traditionelle Familie]] (1x)
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* [[Umerziehung]] (1x)
* [[Verfall]] (1x)
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