Akademisches Proletariat: Unterschied zwischen den Versionen

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== Geschichte und Bedeutung des Narrativs ''Akademisches Proletariat'' ==
== Geschichte und Bedeutung des Narrativs ''Akademisches Proletariat'' ==
=== ''Akademisches Proletariat'' im Nationalliberalismus im 19. Jahrhundert ===
Bereits 1972 bemerkte [[Winfried Schlaffke]], dass vor dem ''Akademischen Proletariat'' bereits seit über einem Jahrhundert gewarnt werde.<ref>Winfried Schlaffke (1972): Akademisches Proletariat?, Osnabrück, S. 9</ref> Tatsächlich findet sich im [[National-Liberalismus|national-liberalen]] Magazin ''Die Grenzboten'' in einem anonymen Artikel von 1896 die Bemerkung, dass auch schon Bismarck sich des Ausdrucks ''Akademisches Proletariat'' bedient haben solle, vorerst aber nur als Warnung vor russischen Verhältnissen, während nun kurz vor der Jahrhundertwende offensichtlich auch in Deutschland ein "Akademisches Proletariat" entstanden sei.<ref>Anonym (1896): Von unten nach oben, in: Die Grenzboten. 55. Jg, 1896 Bd 2, S. 509 [https://brema.suub.uni-bremen.de/download/pdf/363895?name=Von%20unten%20nach%20oben Link]).</ref> Im Artikel wird nicht nur vor diesem ''Akademischen Proletariat'' gewarnt, sondern auch kritisiert, dass finanzielle Hilfen für ärmere Studenten nur zum ''Saufen'' verprasst werden. Nicht nur führe diese Unterstützung zum "Pauperismus", auch der Unterstützte würde letztlich leiden. Tatsächlich gehöre Besitz und Bildung zusammen: "Es läßt sich nun einmal nicht verkennen, [...] ein gewisser Besitz verbürgt, um es möglichst vorsichtig auszudrücken, in der Regel ein gewisses Verhalten des betreffenden Besitzers.[…] Wer aber Aufwand aus eignen Mitteln für Zwecke höherer Bildung zu machen gewohnt ist, lernt beides früh zu einander in Verhältnis setzen, und solche Anschauung vererbt sich vom Vater auf den Sohn, oder richtiger: die Familie gibt sie dem Einzelnen mit ins Leben, und draußen lernt er dann erkennen, was diese Gabe wert ist.[…] Und diese gute Gewöhnung einer höhern Kultur, wenn auch des Einzelnen persönliches Verdienst darum nicht mehr groß ist, wollen wir nicht gering achten."<ref>ebd, S. 509ff.</ref>
Bereits 1972 bemerkte [[Winfried Schlaffke]], dass vor dem ''Akademischen Proletariat'' bereits seit über einem Jahrhundert gewarnt werde.<ref>Winfried Schlaffke (1972): Akademisches Proletariat?, Osnabrück, S. 9</ref> Tatsächlich findet sich im [[National-Liberalismus|national-liberalen]] Magazin ''Die Grenzboten'' in einem anonymen Artikel von 1896 die Bemerkung, dass auch schon Bismarck sich des Ausdrucks ''Akademisches Proletariat'' bedient haben solle, vorerst aber nur als Warnung vor russischen Verhältnissen, während nun kurz vor der Jahrhundertwende offensichtlich auch in Deutschland ein "Akademisches Proletariat" entstanden sei.<ref>Anonym (1896): Von unten nach oben, in: Die Grenzboten. 55. Jg, 1896 Bd 2, S. 509 [https://brema.suub.uni-bremen.de/download/pdf/363895?name=Von%20unten%20nach%20oben Link]).</ref> Im Artikel wird nicht nur vor diesem ''Akademischen Proletariat'' gewarnt, sondern auch kritisiert, dass finanzielle Hilfen für ärmere Studenten nur zum ''Saufen'' verprasst werden. Nicht nur führe diese Unterstützung zum "Pauperismus", auch der Unterstützte würde letztlich leiden. Tatsächlich gehöre Besitz und Bildung zusammen: "Es läßt sich nun einmal nicht verkennen, [...] ein gewisser Besitz verbürgt, um es möglichst vorsichtig auszudrücken, in der Regel ein gewisses Verhalten des betreffenden Besitzers.[…] Wer aber Aufwand aus eignen Mitteln für Zwecke höherer Bildung zu machen gewohnt ist, lernt beides früh zu einander in Verhältnis setzen, und solche Anschauung vererbt sich vom Vater auf den Sohn, oder richtiger: die Familie gibt sie dem Einzelnen mit ins Leben, und draußen lernt er dann erkennen, was diese Gabe wert ist.[…] Und diese gute Gewöhnung einer höhern Kultur, wenn auch des Einzelnen persönliches Verdienst darum nicht mehr groß ist, wollen wir nicht gering achten."<ref>ebd, S. 509ff.</ref>


=== ''Akademisches Proletariat'' im völkischen Denken in der Weimarer Republik ===
In der Weimarer Republik griff vor allem die völkische Bewegung der ''Jungkonservativen'' das Narrativ des ''Akademischen Proletariats'' auf und verband dies mit ihrem [[Elitismus]]. Fritz Schlamp kritisierte in seinem Artikel, dass viele Studierende nicht mehr der Wissenschaft verbunden seien und verglich diesen nun im Gegensatz zu früheren Zeiten vermeintlich fehlenden Ehrgeiz mit der Handarbeit:
In der Weimarer Republik griff vor allem die völkische Bewegung der ''Jungkonservativen'' das Narrativ des ''Akademischen Proletariats'' auf und verband dies mit ihrem [[Elitismus]]. Fritz Schlamp kritisierte in seinem Artikel, dass viele Studierende nicht mehr der Wissenschaft verbunden seien und verglich diesen nun im Gegensatz zu früheren Zeiten vermeintlich fehlenden Ehrgeiz mit der Handarbeit:


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  sind die charakteristischen Merkmale unseres heutigen jungen Akademikertums.“<ref>Fritz Schlamp: Akademisches Proletariat, in: Greifswalder Universitäts-Zeitung vom 28.05.1928 [https://www.digitale-bibliothek-mv.de/viewer/fullscreen/PPN657560936_1928/46/ Link]</ref>
  sind die charakteristischen Merkmale unseres heutigen jungen Akademikertums.“<ref>Fritz Schlamp: Akademisches Proletariat, in: Greifswalder Universitäts-Zeitung vom 28.05.1928 [https://www.digitale-bibliothek-mv.de/viewer/fullscreen/PPN657560936_1928/46/ Link]</ref>


Dem Handwerk würden mit dem ''Akademischen Proletarit'' die intelligenten Leute entzogen, argumentiert Schlamp. Auch sei eine Studienbeihilfe nicht sozial: „War man fürher bestrebt im Rahmen einer gesunden Familienpolitik hochqualifizierte Leistungen zu erzielen, so soll es heute rascher gehen und nicht die Leistung ist die Hauptsache, sondern der dadurch erzielte Gewinn, der Verdienst. Das ist das große Bedenken, das ich von jeher gegen alle studentischen Hilfsorganisationen, soviel Begrüßenswertes sie auch manchmal leisten mögen, hegte"<ref>ebd.</ref> Hier bezieht sich Schlamp auf den Vordenker [[Edgar Julius Jung]], der am 16.07.1927 in der Einleitungsrede des 10. Deutschen Studententages gesagt habe: "Nicht der handelt sozial, der aus schwächlicher Mitleidseinstellung unterschiedslos das Einzelwohl behütet, sondern wer die Gesundheit des Volkskörpers in seiner Gesamtheit pflegt." Schlamp bezieht diesen Satz auf die studentischen Hilfsorganisationen und setzt diese eine Jahrhunderte währende "organische" Familienentwicklung gegenüber:  
Dem Handwerk würden mit dem ''Akademischen Proletariat'' die intelligenten Leute entzogen, argumentiert Schlamp. Auch sei eine Studienbeihilfe nicht sozial: „War man fürher bestrebt im Rahmen einer gesunden Familienpolitik hochqualifizierte Leistungen zu erzielen, so soll es heute rascher gehen und nicht die Leistung ist die Hauptsache, sondern der dadurch erzielte Gewinn, der Verdienst. Das ist das große Bedenken, das ich von jeher gegen alle studentischen Hilfsorganisationen, soviel Begrüßenswertes sie auch manchmal leisten mögen, hegte"<ref>ebd.</ref> Hier bezieht sich Schlamp auf den Vordenker [[Edgar Julius Jung]], der am 16.07.1927 in der Einleitungsrede des 10. Deutschen Studententages gesagt habe: "Nicht der handelt sozial, der aus schwächlicher Mitleidseinstellung unterschiedslos das Einzelwohl behütet, sondern wer die Gesundheit des Volkskörpers in seiner Gesamtheit pflegt." Schlamp bezieht diesen Satz auf die studentischen Hilfsorganisationen und setzt diese eine Jahrhunderte währende "organische" Familienentwicklung gegenüber:  


  "Man kann sich mit Recht fragen, ob der Weg, den diese Kreise des Mittelstandes, wie oben geschildert, einschlagen, um aus einer Arbeiterfamilie in der Reihenfolge mehrerer Familiengenerationen einen Akademikerstand herauszukristallisieren, ob dieser Weg nicht sozialer im Sinn obigen Satzes ist, nicht eine bessere Lösung des sozialen Problems darstellt, als die, mit Hilfe staatlicher und privater Wohlfahrtseinrichtungen diese organische Entwicklung zu durchbrechen und unter Umständen aus einem Proletarier einen – akademischen Proletarier zu machen."<ref>ebd.</ref>
  "Man kann sich mit Recht fragen, ob der Weg, den diese Kreise des Mittelstandes, wie oben geschildert, einschlagen, um aus einer Arbeiterfamilie in der Reihenfolge mehrerer Familiengenerationen einen Akademikerstand herauszukristallisieren, ob dieser Weg nicht sozialer im Sinn obigen Satzes ist, nicht eine bessere Lösung des sozialen Problems darstellt, als die, mit Hilfe staatlicher und privater Wohlfahrtseinrichtungen diese organische Entwicklung zu durchbrechen und unter Umständen aus einem Proletarier einen – akademischen Proletarier zu machen."<ref>ebd.</ref>


==== ''Akademisches Proletariat'' als Narrativ von Wirtschaftsverbänden seit 1970 ====
Spätestens mit der Studierendenbewegung ab den 1960er Jahren wird zudem eine fächerbezogene Studienwahl als Gefahr der Entstehung eines ''Akademischen Proletariats'' benannt. [[Winfried Schlaffke]], späterer Geschäftsführer und stv. Direktor des [[Institut der deutschen Wirtschaft|Instituts der deutschen Wirtschaft]] (Mutterorganisation des "[[Institut für Neue Soziale Marktwirtschft|Instituts für Neue Soziale Marktwirtschaft]]" (ISM) beklagte in seinem Buch "Akademisches Proletariat?", dass vor allem zu viel Soziologie und Politologie studiert werden und diese Fachbereiche zu "ideologisch" ausgerichtet seien. Hierdurch entstünde nicht nur ein Mangel in wirtschaftlich relevanteren Berufszweigen, sondern das so entstehende ''Akademische Proletariat'' sei zudem zu kritisch gegenüber der bestehenden Gesellschaftsordnung eingestellt:
Spätestens mit der Studierendenbewegung ab den 1960er Jahren wird zudem eine fächerbezogene Studienwahl als Gefahr der Entstehung eines ''Akademischen Proletariats'' benannt. [[Winfried Schlaffke]], späterer Geschäftsführer und stv. Direktor des [[Institut der deutschen Wirtschaft|Instituts der deutschen Wirtschaft]] (Mutterorganisation des "[[Institut für Neue Soziale Marktwirtschft|Instituts für Neue Soziale Marktwirtschaft]]" (ISM) beklagte in seinem Buch "Akademisches Proletariat?", dass vor allem zu viel Soziologie und Politologie studiert werden und diese Fachbereiche zu "ideologisch" ausgerichtet seien. Hierdurch entstünde nicht nur ein Mangel in wirtschaftlich relevanteren Berufszweigen, sondern das so entstehende ''Akademische Proletariat'' sei zudem zu kritisch gegenüber der bestehenden Gesellschaftsordnung eingestellt:
  „Als akademisches Proletariat pflegt man ja solche Gruppen von Intellektuellen zu bezeichnen, denen es nicht gelingt, sich in die Gesellschaft zu integrieren, deren Einkommensentwicklung im Vergleich zu ihrem Leistungsvermögen und zu anderen Schichten zurückgeblieben ist und die daher ein Kampfstellung gegen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft eingenommen haben, weil sie keinen anderen Weg sehen, aus ihrer Lage herauszukommen."<ref>Winfried Schlaffke (1972): Akademisches Proletariat?, Osnabrück</ref>
  „Als akademisches Proletariat pflegt man ja solche Gruppen von Intellektuellen zu bezeichnen, denen es nicht gelingt, sich in die Gesellschaft zu integrieren, deren Einkommensentwicklung im Vergleich zu ihrem Leistungsvermögen und zu anderen Schichten zurückgeblieben ist und die daher ein Kampfstellung gegen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft eingenommen haben, weil sie keinen anderen Weg sehen, aus ihrer Lage herauszukommen."<ref>Winfried Schlaffke (1972): Akademisches Proletariat?, Osnabrück</ref>

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